In der Tat ist sie die größte Altstadtkirmes Europas und schon mindestens 686 Jahre alt. Wahrscheinlich ist sie aber noch viel älter. Tagelang wurde da rund um Allerheiligen gefeiert. An so einer wunderbaren Tradition halten die Soester natürlich fest.
Soests älteste Kirche, St. Petri, wurde einst am Allerheiligentag geweiht. Da traf es sich gut, drum herum ein großes Fest zu feiern, das den einfachen Leuten die Gelegenheit zur Abwechslung gab und den Betuchten die Möglichkeit, ein gutes Geschäft zu machen. So ein Fest zog natürlich Fahrensleute in die Stadt. Gaukler, Puppenspieler, Seiltänzer und Händler mit billigem Krimskrams. Es kamen auch Kaufleute aus Münster, Hessen, Holland, Skandinavien und dem Baltikum, die ihre Waren feilboten (Vieh, Pferde, Wachs, Pelze), Kontakte zu den weltoffenen Soester Kaufherren knüpften und pflegten - und das natürlich kräftig begossen.
„Das Wort Kirmes ist aus mittelhochdeutsch "kirchwihmesse" verkürzt. Neue Kirchen wurden vor dem ersten Gottesdienst geweiht. Das Gebäude wurde zumeist durch einen Bischof von innen und außen mit Weihwasser besprengt. Hauptportal, Wände und Altar wurden symbolisch gewaschen und gesalbt. Jährlich beging man den Tag der ersten Weihe als besonderes Kirchenfest. Dieser Jahrestag, an dem alle Bewohner aus dem oft weit ins Umland ausgreifenden Kirchensprengel zusammen kamen, lockte Händler, fahrende Leute und Gaukler. So entstanden regelmäßig wiederkehrende Jahrmärkte.
Die bedeutendste Kirchweihe in Soest fand 1166 mit der Abschlussweihe der Münsterkirche St. Patrokli durch den Kölner Erzbischof Reinald von Dassel statt, nach einer wahrscheinlich früheren, aber nicht überlieferten Weihe für die ältere Petrikirche. (Die anderen Soester Kirchen entstanden später.) Märkte gab es aber schon früher in Soest, dessen Marktrecht 1144 vom Kölner Erzbischof der Stadt Medebach verliehen wurde.
Die Soester Kirmes könnte bis in diese Zeiten zurück reichen. Schriftlich belegt aber ist sie erst 1338 in der ältesten erhaltenen, auf Pergament geschriebenen Soester Stadtrechnung. Dort heißt die unscheinbare und kaum lesbare Eintragung: "Item de wrighe kermesse constat VI s." (Außerdem kostet die freie Kirmes 6 Schilling.) Auf Grund dieses ältesten Nachweises feiern die Soester im Jahr 2022 nach einjährigem coronabedingten Ausfall ihre 684. Allerheiligen-Kirmes. (Bis vor einigen Jahren noch war eine Quelle von 1417 aus dem Stadtarchiv als Ersterwähnung und damit Grundlage für eine 79 Jahre jüngere Zählung gewesen.)“
(Quelle: Dr. Gerhard Köhn, ehemaliger Leiter des Soester Stadtarchivs)
Was da auf Plakaten, Prospekten und Anstecknadeln fröhlich den Stadtschlüssel schwenkend herumturnt, das ist das "Jägerken von Soest" - die Symbolfigur der Soester Allerheiligenkirmes. Genau genommen heißt es Simplicius Simplicissimus und ist die Hauptfigur eines Romans von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen. Der Schelmenroman trägt autobiographische Züge und beschreibt das Leben eines in Saus und Braus lebenden Draufgängers zur Zeit des 30jährigen Krieges. Im Regiment des Grafen Götz nimmt er teil an der Belagerung und Unterwerfung Soests, plündert bei Bedarf und Gelegenheit Bauern und andere Einwohner und wird schließlich in Lippstadt zur Ehe gezwungen und gezähmt.
Im Jahr 1976, anlässlich des 300. Todestages des Romanautors Grimmelshausen, kam man auf die Idee, eine originelle Repräsentationsfigur zu schaffen und sie zur Eröffnung der Allerheiligenkirmes dem Stadtoberhaupt zur Seite zu stellen. So wurde aus dem Haudegen ein Botschafter und das "Jägerken" gehört inzwischen zur Allerheiligenkirmes wie Pferdemarkt und Bullenauge.
Seit nunmehr über 45 Jahren wird jedes Jahr ein junger Mann benannt, der ein Jahr lang das Kostüm der historischen Figur trägt und die Stadt bei repräsentativen Anlässen vertritt.
Somit wird dann auch ein Berufsstand oder eine Vereinigung geehrt; u.a. schlüpften schon Ratsmitglieder, Polizisten, Krankenpfleger, Sportler, Sänger und Pfadfinder in das Wams des "Jägerken".
Informationen rund um den aktuellen Amtsträger sowie eine Auflistung aller bisherigen Amtsträger gibt es hier
Im Jahr 1997 wurde erstmals ein Anstecker mit dem Jägerken von Soest - der Symbolfigur der Soester Allerheiligenkirmes - herausgegeben. Seitdem gibt es jedes Jahr einen Pin mit neuem Motiv zum Sammeln und Anstecken. Die Auflage der Pins ist limitiert und der Ansturm auf die Sammelpins traditionell groß. Ob Sie alle bisher erschienenen Motive in Ihrer Sammlung haben oder welcher Ihnen eventuell noch fehlt, können Sie hier nachschauen
Zur Allerheiligenkirmes versteht man unter einem Bullenauge nicht das Auge des Gesetzes, eher das Gegenteil.
Das Bullenauge ist nämlich ein köstliches Gesöff, das 1964 anlässlich einer Bauausschusssitzung der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder der Hellweg- Molkerei in Soest erfunden wurde und inzwischen patentrechtlich geschützt ist. Ursache war, dass während der Sitzung der westfälische Korn ausging, und der damalige Soester Landrat Blume kurzerhand einen vorhandenen Edelmokkalikör mit einem Schuss Soester Schlagsahne versetzte. Nach einigen Gläschen stellten die honorigen Herren fest, dass diese Kombination einem Bullenauge glich, das dem Genießer aus dem Glas freundlich zuzwinkerte.
Das Gesicht der Allerheiligenkirmes sieht jedes Jahr ein bisschen anders aus und bietet immer wieder reichlich Stoff für muntere Diskussionen. Wo hat wann das Riesenrad gestanden und was stand vor sechs Jahren auf dem Markt?
Hier finden Sie eine Auswahl der Kirmespläne der vergangenen Jahre:
Lass uns auf die Kirmes gehn,
wo die Karussells sich drehn!
Steck dir liebes Schwesterlein,
einen blanken Taler ein!
Wollen auch den Kasper schaun,
der wird arg den Lumpen haun!
Kommt der Teufel selber raus,
klopft er ihm den Buckel aus.
Hört ihr nicht den Jakob schrein:
„Liebe Leute kauft doch ein!
Habt ihr nur ein wenig Geld,
schenk ich euch die halbe Welt!“
Wer den rechten Mut nur hat,
steigt auch mal ins Riesenrad.
Gondeln tragen Groß und Klein
fast bis in den Himmel rein.
Schlägt die Abendstunde schon,
kauf dir einen Luftballon!
Such dir nur den schönsten aus,
halt ihn fest und geh nach Haus!
Bind ihn an dein Bettchen an,
dass er nicht entfliehen kann!
Dreht er sich im Mondschein sacht,
träumst du schön die ganze Nacht.
Wort und Weise: Bernd Wübbecke 1957
(Rundfunkaufführung am 05.11.1966)